Sehr geehrte Damunnerren, hier ist es sehr schön, aber eigener Herd & so, Sie wissen schon. Drum geht's ab sofort da drüben weiter:
Vielleicht auch etwas regelmäßiger. Ma kucken.
Mr. Ungefähr
Die Idee von
fuenfbuecher.de gefällt mir sehr und ich blättere dort gerne durch das Archiv: Kultur- und Internet-Menschen (vorwiegend jedenfalls) stellen Bücher vor, die sie nicht mehr hergeben würden, weil sie ihnen so viel bedeuten, wie es im Subtitel heißt. Ich habe das mal ein wenig adaptiert und fünf Bücher herausgesucht, die mich besonders beeinflusst haben - geschmacklich, meinungsbildend, weltanschaulich, wie auch immer. Belletristik, klar. Eine Liste der aktuellen Lieblingsautoren und -bücher würde allerdings ein wenig anders aussehen.
Stanisław Lem (Kurt Kelm): Solaris
Ich war ein Teenager und verschlang Science Fiction. Mit Außerirdischen und Strahlenpistolen und Hyperraumantrieben. Lem war mein Türöffner in die Post-Science-Fiction-Zeit, praktisch mein erster Kontakt mit "richtiger" Literatur. Alle paar Jahre krame ich das Buch wieder heraus, um es noch einmal zu lesen.
Kurt Vonnegut (Kurt Heinrich Hansen): Frühstück für starke Männer
Ich, immer noch ein Teenager: Weil meine Bibliothekarin mich kannte (logisch, verbrachte ich doch in ihren Räumen mehr Zeit als anderswo) durfte ich gelegentlich Bücher mitnehmen, für die ich „eigentlich noch zu jung“ sei, wie mir die strenge Dame stets mit ernstem Blick erläuterte. Von Chandler, Updike oder Capote. Ich verstand kein Wort, fühlte mich aber unglaublich erwachsen, zumal sogar Sexszenen drin vorkamen! Vor allem Updike hat mich in dieser Hinsicht tief beeindruckt. Nun gut, ich war jung, und den
Lifetime Achievement Award for Bad Sex in Fiction bekam er auch erst später.
Bei Vonnegut lernte ich, dass auch Erwachsenenbücher offenbar gnadenlos albern sein durften. Noch heute gehört er zu meinen Lieblingsautoren, ich glaube, ich habe jedes Buch von ihm gelesen, nicht alle mit Begeisterung. Dass viel mehr in ihnen steckt als Faxen und Albernheiten, Moral nämlich und Weisheit und ganz viel Menschlichkeit, merkte ich erst später. Ein ganz Großer. Umso befremdlicher, dass fast alle seine Romane nur noch antiquarisch erhältlich sind.
Philippe Djian (Michael Mosblech): Betty Blue
Djian war mein Kerouac. Betty Blue habe ich bestimmt ein Dutzend Mal gelesen, und ich glaube mich zu erinnern, dass meine ersten eigenen Schreibversuche ganz eng mit Djian verknüpft waren. Was für ein Stilist. Was für eine Rasanz!
Stefan Beuse ging es offenbar ganz ähnlich. Ich kann das alles unterschreiben. Schade allerdings: Djian und ich altern offenbar in verschiedenen Geschwindigkeiten. Irgendwann begannen mich seine Bücher furchtbar zu langweilen. Und die neuen Sachen kenne ich überhaupt nicht mehr. Ein Fehler?
Raymond Carver (Klaus Hoffer): Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden
Mein Idol seit 22 Jahren. Leider auch das Idol fast aller Literaturinstitutsstudenten, die ihn nicht nur lesen (prima!), sondern auch so schreiben wollen wie er (schrecklich!). Als würde es reichen, Hauptsätze aneinanderzureihen.
Im letzten Jahr kam mit "Beginners" eine Sammlung unlektorierter Carver-Stories raus.
Ein immens spannendes Buch, denn es zeigt zwar zum einen (wenig überraschend) den enormen Einfluss seines Lektors (Carver neigt ohne ihn zum Plappern und versemmelt einige Pointen), zum anderen aber auch einen wirklich begnadeten Geschichtenerzähler, denn auch die ursprünglichen Fassungen sind oft einzigartig und gehen ans Herz. Es ist ein dickes schweres Buch und man möchte es jedem dieser Institutsstudenten um die Ohren schlagen, immer und immer wieder, bis es nur noch aus Fetzen besteht und ihm ins Gesicht brüllen: "Erleb erst mal was, du Kind!" Oder geht das zu weit?
Ágota Kristóf (Andrea Spingler): Die Analphabetin
Wenn Sie in ihrem Leben nur eine einzige Biographie lesen wollen, dann nehmen Sie diese. Es ist ein schmales Bändchen, ein länglicher Essay eher, in einer halben Stunde sind sie durch, aber der Nachhall dauert viel länger an. Die Geschichte einer Flucht und des Versuches anzukommen, die Fremde zu bewältigen. Nüchtern und karg, wie man es kennt von dieser Autorin, und vielleicht deshalb umso bewegender. Es gibt einen Absatz darin, der mir sehr wichtig ist und den ich versuche, im Umgang mit meinen eigenen Kindern zu beherzigen:
Wenn sie mich nach der Bedeutung eines Wortes fragen oder wie man es schreibt, werde ich niemals sagen: "Ich weiß nicht." Ich werde sagen: "Ich schaue nach."
Man muss diesen Anspruch nicht auf Wortbedeutungen beschränken und nicht immer gelingt es mir, danach zu handeln.
Aber ich gebe mir Mühe.